"Nie wieder" ist jetzt!

ULB erinnert an Verfolgung jüdischen Lebens in Darmstadt

Am 9. November 1938 brannten in Darmstadt wie in vielen anderen Städten die Synagogen der jüdischen Gemeinden. Einrichtungen wurden geplündert, Menschen misshandelt, gefoltert und gedemütigt. Nach Jahren der Anfeindungen und Entrechtung erreichte der antisemitische Terror einen ersten traurigen Höhepunkt – bevor die staatliche Willkür des NS-Regimes und ein weit verbreiteter Antisemitismus zur Katastrophe der Shoah führten – in die Verfolgung und Ermordung europäischer Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs.

Zu den persönlichsten Zeugnissen der Verfolgung zählen die Bücher der Geflohenen und Ermordeten. Sie sind oft Träger privater Erinnerungen und vermitteln Einblicke in eine untergegangene deutsch-jüdische Alltagswelt. Als das Vermögen der Verfolgten von NS-Institutionen geraubt wurde, profitierten auch die wissenschaftlichen Bibliotheken von der Ausplünderung jüdischer Menschen und Organisationen. Heute sucht die ULB, im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste unterstützten Projektes , in ihren Beständen nach dem in den Jahren der NS-Herrschaft wie auch in der Nachkriegszeit erworbenen Raubgut.

Die folgenden Beispiele zeigen, anhand von Einträgen oder Stempeln in den Büchern, wie persönliche Schicksale heute wieder lebendig werden.

Gemeindebibliotheken

Die Repressionsorgane des NS-Staates beschlagnahmten gezielt die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden und Organisationen. Unmittelbar aus den Kellern von Gestapo und SD gelangten nach Kriegsende einzelne Bücher der Israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden in die damalige Landesbibliothek. Unter den späteren antiquarischen Erwerbungen der Institute der TH Darmstadt konnten Bücher aus Gemeindebibliotheken in Berlin und München nachgewiesen werden.

Aus dem Besitz jüdischer Deportierter

1942 verkaufte das Darmstädter Finanzamt ein größeres Buchpaket an die Hessische Landesbibliothek. Die Erwerbung stand in engem Zusammenhang mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Konzentrationslager. Nur wenige der Bücher haben die Zerstörung der Bibliothek 1944 überdauert. Sie geben einen Einblick in persönliche Lebenssituationen der Darmstädter Jüdinnen und Juden.

Ein Buch aus dem Besitz von Delphine Homberger, geb. Mayer (1846-1919), trägt eine Widmung zum 18. Geburtstag am 25.06.1864 und wurde wahrscheinlich als Erbstück in der Familie (wird in neuem Tab geöffnet) weitergegeben. Unter den 1942 deportierten Nachfahren konnte der letzte Besitzer noch nicht ermittelt werden.

Bereits in die Zeit der NS-Verfolgung fällt dieser handschriftliche Vermerk:
Am 19.09.1935 schenkte die Darmstädter Jugendgruppe Agudas Jisroel den Zwillingen Artur (1922-1942?) und Leo (1922-2018) Sender (wird in neuem Tab geöffnet) dieses Buch.
Nur einer der Brüder überlebte die Shoa und berichtete später in einem Gedenkbuch der Gemeinde von seinen Erlebnissen. Die Suche nach den Erben in Israel ist bislang noch nicht abgeschlossen.

"Nie wieder" ist jetzt!

Jedes einzelne Buch ist ein Mahnmal der Erinnerung. 1998 hat sich die Bundesrepublik Deutschland in der Washingtoner Erklärung verpflichtet, unabhängig vom Ablauf gesetzlicher Fristen, faire Lösungen und die Restitution geraubten Kulturguts zu ermöglichen. Die ULB unterstützt diese Bestrebungen, wird aber auch nach etwaigen Rückgaben in Katalogen und Datenbanken die Erinnerung an den Bücherraub dauerhaft wachhalten.