Eine Darmstädter Zeitung in drei Jahrhunderten
Digitalisierung des Darmstädter Tagblatts (1740-1986)
Das 1986 eingestellte Darmstädter Tagblatt ist eine der am längsten kontinuierlich herausgegebenen (Tages)zeitungen im deutschen Sprachraum und fungierte als wichtigstes Leitmedium in Darmstadt und der Region Südhessen.
Diese „Nachrichten von gestern“ sind für die Forschung von heute interessant! Gleichzeitig sind die Originalausgaben wegen ihres Alters gefährdet. Das Papier ist von einfachster Qualität und jedes Umblättern in den gebundenen Bänden der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt muss sehr vorsichtig geschehen.
Daher hat die ULB – gemeinsam mit dem Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft der TU Darmstadt – die Initiative ergriffen, den Zugang zu dieser wichtigen Zeitung für Öffentlichkeit und Forschung zu erhalten und in digitaler Form zu verbessern.
Als erstes Forschungsprojekt wird in einem Team unter der Leitung von Prof. Marcus Müller mit einem Teil der Daten eine diskurslinguistische Studie zum Wandel des öffentlichen Risikokonzeptes 1850-1915 am Beispiel des Darmstädter Tagblatts durchgeführt.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt.
Projektbeschreibung
Das 1986 eingestellte Darmstädter Tagblatt war eines der ältesten Periodika und gehört zu den am längsten kontinuierlich herausgegebenen (Tages-)zeitungen im deutschen Sprachraum. Es fungierte als wichtigstes Leitmedium in Darmstadt und der Region Südhessen. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen angefangen mit dem wöchentlichen „Darmstädtischen Frag- und Anzeigungsblättgen“ repräsentieren die Entwicklung und den Wandel der Presse von den frühen Anfängen bis hin zum Massenmedium des 20. Jahrhunderts.
Aufgrund des deutlich regionalen Zuschnitts sind besonders die Ausgaben des 18. Jahrhunderts eine wichtige Quelle für die Landesgeschichte der alten Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Eine über längere Zeiträume etablierte Binnenstruktur mit gleichbleibenden Rubriken (z.B. Lebensmittelpreise) liefert serielle Daten als Grundlage für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen. Das hier überlieferte wertvolle statistische Material steht nach der Digitalisierung nicht allein der Regionalforschung, sondern auch für vergleichende Studien zur Verfügung. In gleicher Weise können die Gäste- oder Passagierlisten, in denen die in Darmstadt übernachtenden auswärtigen Personen namentlich aufgeführt sind, in der Zusammenschau mit externen Quellen zur Erforschung frühneuzeitlicher Mobilität herangezogen werden.
Im 19. Jahrhundert fanden zunehmend Lokal- und Regionalnachrichten, aber auch feuilletonistische Inhalte, Eingang in das Blatt, bis 1874 der nachhaltige Wandel von Inhalt und Form zu einer modernen Tageszeitung mit dem Wechsel zum neuen Titel Darmstädter Tagblatt abgeschlossen wurde.
1941 wurde die Zeitung auf Anordnung der Reichspressekammer eingestellt. 1945 erhielt das “Darmstädter Echo” als erste Tageszeitung in Darmstadt nach dem Krieg eine Lizenz der Amerikanischen Militärregierung und blieb bis zum Wiedererscheinen des Darmstädter Tagblatts 1950 die dominierende Zeitung in Südhessen. In den nächsten Jahrzehnten konkurrierten beide Zeitungen mit ähnlichen Angeboten auf dem engen Zeitungsmarkt der Region. Bis zur Einstellung des Tagblatts 1986 bietet die Zeitung eine erstrangige Quelle für die regionale Rezeption globaler Phänomene und Ereignisse wie auch für lokale Diskurse zu aktuellen Themen aus dem Rhein-Main-Gebiet.
In der ULB werden die Originale der Zeitung von Forschung und Öffentlichkeit stark nachgefragt, sind aber aufgrund ihres Alters und der Materialbeschaffenheit schwer handhabbar und nur mit Einschränkungen im Forschungslesesaal einsehbar.
Ziel ist die Digitalisierung und Präsentation des Darmstädter Tagblatts in einer hochwertigen digitalen Form nach aktuellen technischen Möglichkeiten und Maßgabe der FAIR Prinzipien. Der Text der Zeitung wird mithilfe einer neuen Klasse von Optical Character Recognition (OCR) Software, die auf Neuronalen Netzwerken beruht und „lernfähig“ ist, mit einem sehr hohen Maß an Genauigkeit erkannt und mit Strukturdaten kodiert.
Als erstes Forschungsvorhaben wird in einem Team unter der Leitung des Mitantragstellers Prof. Marcus Müller eine linguistische Annotation vorgenommen, die die Basis bildet für eine diskurslinguistische Studie zum Wandel des öffentlichen Risikokonzeptes 1850-1915 am Beispiel des Darmstädter Tagblatts.
Alle Daten, Images, bibliographische- Strukturdaten und Volltexte, werden zum Download und über Schnittstellen (REST, OAI-PMH) in verschiedenen Formaten zur Verfügung gestellt sowie langzeitarchiviert.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt – zunächst für die Erscheinungsjahre 1740-1941. Ein Folgeantrag für den verbleibenden Verlauf des Darmstädter Tagblatts (1949-1986) ist für 2021 geplant. In Vorbereitung dieser zweiten Projektphase unternimmt die ULB derzeit eine umfassende Ermittlung von Urheberrechtsinhabern. Für nicht gemeinfreie Werke wird eine kostenfreie Lizenzvereinbarung mit den Autoren, Fotografen und Agenturen angestrebt. Die Echo Medien GmbH ist ein Kooperationspartner im Projekt.
Erste Projektphase
Zunächst werden die Jahrgänge 1740-1941 (bis zur zeitweiligen Einstellung im II. Weltkrieg) digitalisiert und auf einer kostenfreien Internetplattform der Universitäts- und Landesbibliothek präsentiert. Dieser Meilenstein soll im Sommer 2021 erreicht sein. Das Tagblatt kann dann virtuell durchgeblättert und auch durchsucht werden – nicht nur nach Erscheinungsdatum, sondern auch beispielsweise nach Schlagworten, Namen und historischen Ereignissen. Dafür wird der Text der Zeitungsseiten mit neuster Technik „erkannt“ und maschinenlesbar.
Zweite Projektphase
Die 2. Phase des Projektes soll die Jahrgänge 1949-1986 einschließen – vorausgesetzt, es werden weitere Fördergelder bewilligt. Damit wäre dann der vollständige Titel online verfügbar.
In Vorbereitung des DFG-Förderantrags für die 2. Phase hat die ULB mit einer umfassenden Recherche begonnen, um ehemalige feste und freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Darmstädter Tagblatts ausfindig zu machen.
Wenn Sie zu diesem Personenkreis gehören oder aus anderen Gründen ein besonderes Interesse an diesem Projekt haben, schreiben Sie bitte an tagblatt@ulb.tu-…, damit wir Sie über den Projektfortschritt informieren können.